20.6.-10.7.2013
Die Einreise bei Tsagaan Nuur dauert über 6 Stunden – die Russen dürften irgendeine interne Feier veranstalten, und auf mongolischer Seite gibt es eine nicht enden wollende Mittagspause. Diesmal stört´s uns nicht. So lernen wir wenigstens andere Reisende kennen und können über Reiserouten durch die Mongolei Informationen austauschen. Außerdem entgehen wir einem starken Regenguß, denn auch der mongolische Grenzposten ist seit neuestem überdacht. Nachdem wir an der Grenze noch eine Motorradversicherung um 10€ - fürs gute Gewissen – abgeschlossen und ein wenig Geld gewechselt haben, beginnt die Fahrt ins Ungewisse. Wir sind auf 2500m, es hat angenehme 15°C und eine gute Schotterstraße weist uns den Weg ins erste Dorf Tsagaanuur. Ein Moperl mit 3 Männern darauf zeigt uns den Weg zum „Supermarkt“, denn wir brauchen Trinkwasser.
Ach so sehen hier die Supermärkte aus: ein kleiner Raum, hinter der Theke 1 Regal mit Wasserflaschen, 1 Regal mit lauter gleichen Konservendosen und in der Ecke einige Klopapierrollen, und – das war´s vorerst!
Im Ölgii sieht es schon anders aus: die Einfahrtsstraße ist asphaltiert, zu unserer Überraschung gibt es moderne Tankstellen mit 95erBenzin, wir finden einen modernen Supermarkt und sogar einen Geldautomaten. Insgesamt ein ganz nettes Dorf mit hilfsbereiten Leuten. Öglii ist ein Aimagzentrum – sprich die Hauptstadt eines „Bundeslandes“. Also das einzige größere Dorf im Umkreis von zwei- bis dreihundert Kilometern.
Von Ölgii aus haben wir uns für die südliche Route entschieden. Auf der Karte ist die Ausfahrtsstraße asphaltiert eingezeichnet, ist sie aber nicht. Stattdessen zerschneidet ein noch nicht befahrbarer schnurgerader Wall die Landschaft; links und rechts davon ist das ganze Tal mit Reifenspuren ausgefüllt. Orientierungsprobleme haben wir also vorerst - trotzdem wir ohne GPS reisen - nicht. Aber wirklich schön fanden wir die Mongolei bisher auch nicht – so grau in grau. Wir hoppeln über Steine den blau schimmernden Tolbo Nuur entlang und fragen uns: Wie war das mit „…in der Mongolei kann man überall zelten…“? Schließlich finden wir aber doch noch ein paar Grasbüschel zum Schlafen. In der Früh besucht uns ein Ziegenhirte auf seinem Moperl. Das sieht nagelneu aus, obwohl es schon 8.000km drauf hat.
Nach dem nächsten Paß wird es endlich grüner. Das heißt aber auch, daß wir etliche Sumpfwiesen und Wasserläufe zu überqueren haben. Und das wiederum heißt fast jedesmal Ausziehen bis auf die Unterwäsche, um im eiskalten Wasser nach einer fahrbaren Stelle zu suchen. Wir kommen tatsächlich überall sturzfrei durch diese einsame Gegend. Das einzige Fahrzeug, das wir treffen sind die Polen von der Grenze, die mit ihrem Nissan Pathfinder auf der Nordroute umkehren mußten, weil sie wegen fehlender Brücken nicht weiterkamen.
Erst am späteren Nachmittag kommen wir zu einer Wasserfurt, an deren Ufer schon mehrere Fahrzeuge stehen, dessen Fahrer ratlos in die braunen Fluten blicken. Der polnische Nissan verschwindet gerade bis zur halben Türe in der Strömung, kommt aber durch. Das gibt auch uns Hoffnung, daß es für uns vielleicht doch nicht unmöglich ist. Warten ist sowieso nicht sinnvoll, weil der Regen das Wasser nur noch höher ansteigen läßt. Und so finden wir wider Erwarten eine schmale und rutschige, aber nicht so tiefe Stelle. Mit viel Gas erreichen wir dann wirklich beide das andere Ufer.
Im nächsten Aimagzentrum Khovd tappen wir in eine unerwartete Touristenfalle, die unsere Reisekassa um die Kosten eines halben Monats schmälert: Nachdem es bei unserer Ankunft in Khovd noch immer regnet und sogar das Dorf überschwemmt ist, empfinden wir es als sinnlos, am selben Tag noch weiter zu fahren, zumal für den nächsten Tag wettermäßig eine Zwischenbesserung vorhergesagt wird. Mit der nicht ganz billigen Nacht im Hotel haben wir auch die Möglichkeit das mongolische Kleinstadt-Leben besser kennen zu lernen.
Plötzlich nach 22 Uhr klopft ein Mongole an unsere Zimmertür. Am Telefon, das er uns entgegenstreckt, ist angeblich dessen Bruder, der uns auf Englisch erklärt, daß die 450km lange Strecke nach Altai City für uns Motorradfahrer nach den wochenlangen Regenfällen komplett unmöglich ist, und daß sogar einige Autos umgekehren mußten, weil sie nicht durchkamen. Aber der Spezialbus von Achid(ich glaube, so hieß er) käme fast überall durch. Sollen wir ihm glauben? Es heißt doch, daß die Mongolen so hilfsbereit sind? Wieso sollten sie sich unbegründet so viele Umstände machen? Um an unser Geld zu kommen, wäre ein Überfall einfacher. Wir glauben dem vernünftig aussehenden Mongolen also, denn wir haben keine Lust, hier die nächsten 2 Wochen hängen zu bleiben.
Ein Fehler, wie wir am nächsten Tag merken. Es ist strahlend schönes Wetter, die Motorräder werden in das „Russian car“ (ein Allrad-Kamaz-Kleinbus) gezwängt, und die Abfahrt verzögert sich, sodaß wir auch noch zweimal in den zweifelhaften Genuß der mongolischen Küche kommen. Danach beginnt endlich die alles andere als bequeme Fahrt. Am immer heißer werdenden Motorblock sitzend, versuchen wir die Landungen nach diversen Bodenwellen halbwegs abzufedern. Denn die mongolische Fahrweise gleicht der russischen: es gibt nur Vollgas! Die Federung des Kamaz schlägt jedesmal durch, und die Motorräder krachen aneinander oder sonst wo dagegen.
Noch dazu können wir beim besten Willen nichts entdecken, wo wir mit den Motorrädern nicht selbst durchgekommen wären - im Gegenteil: einige Streckenabschnitte sind sogar perfekt asphaltiert. Will man uns verarschen oder entführen?
Gegen Abend kommen wir an halbwilden Kamelherden vorbei. Es ist recht flach und staubig geworden. Im Hintergrund begleiten uns Berge, die wie aufgeschüttet aussehen und durch ihre vielfältigen Licht-Schatten-Kontraste schöne Fotomotive wären. Überhaupt ist es eine „Typisch-Mongolei-Foto“-Gegend: der Vordergrund grün bis gelb (also einzelne Grasbüschel auf steinigem Untergrund), dazwischen Viehherden und Jurten und als Kulisse die erwähnten Berge. Fotostopps gibt’s aber keine und Klopausen nur, wenn´s gar nicht mehr anders geht. Denn sobald wir stehenbleiben, stirbt der Motor ab und ist dann auch unter Zuhilfenahme der externen Kurbel kaum mehr in Gang zu bringen.
Wir fahren gnadenlos in die Nacht hinein. Jetzt sehen wir von der Landschaft nichts, und von den Fahrspuren im schwachen Scheinwerferlicht nicht viel mehr. Sobald sich von hinten ein Fahrzeug nähert, steigt unser Fahrer geisteskrank noch mehr auf´s Gas, um sich mit dem anderen möglichst lange eine Verfolgung zu liefern.
Aus der Musikbox trällern schon seit 8 Stunden immer die selben 5 Lieder mit immer lauter werdender Intensität. Anfangs fanden wir die mongolische Musik gar nicht so schlecht, aber jetzt sind wir für immer und ewig davon geheilt! Erst um Mitternacht halten wir am Wegesrand für eine sehr kalte „Schlaf“pause zu dritt in dem vollgestopften Auto. Am nächsten Tag wird das Wellblech ziemlich schlimm. Am Ende hoffen wir nur noch, daß wir und die Motorräder heil in Altai City ankommen und unser Fehler wenigstens keine weiteren Konsequenzen hat.
Zu Mittag hat die Tortur ein Ende. Die Motorräder haben sie ganz gut überstanden und nach weiteren 2 Stunden haben wir wieder alles zusammengebaut und sind startklar. Nichts wie weg vom Wellblech, in die Berge Richtung Norden! Hier fahren wir auf netten Almwegen, die mit dem Mountainbike auch schön wären. Auf einem einsamen Paß übernachten wir. Die 2 sandigen Reifenspuren zwischen den Hügeln lassen nicht vermuten, daß es sich um die Hauptverbindung zwischen 2 Aimagzentren – also vergleichbar mit Wien-Salzburg -- handelt.
Wir fahren von einer Hochebene zur nächsten, immer so ungefähr den Strommasten folgend, die uns, wie schon oft, den Weg weisen. Endlich paßt auch das Wetter.
Nur einmal kreuzt sich unsere Spur mit einer anderen. Dort halten wir kurz an, um uns zu orientieren… und aus dem Nichts kommend stehen innerhalb von 5 Minuten 4 mongolische Moperl-Fahrer grinsend um uns herum. Sie sind etwas entäuscht, daß wir den Fahrzeugtausch mit ihnen ablehnen.
Das war aber unsere einzige Begegnung an diesem Tag, der wahrscheinlich der schönste überhaupt war. Endlich ist die Mongolei so richtig grün geworden und die ersten Bäume auf den Nordhängen tauchen auf! Auf den Wiesen wachsen unscheinbar Edelweiß und andere Bergblumen.
Während die Menschen im Westen ganz nett waren, geht uns der chinesische Einschlag in Uliastai unglaublich auf den Geist: alles an unseren Motorrädern wird begrabscht, hundertmal am Gasgriff gedreht, Kupplung und Schalthebel betätigt, sogar unsere Helme probieren sie – so wie wenn es die ihren wären und wir gar nicht da wären. Bevor wir flüchten, decken wir uns wieder mit Trinkwasser und Konservendosen ein. Frische Lebensmittel bekommt man in der Mongolei nur selten, hauptsächlich in Form von Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln und Weißbrot.
In den folgenden Tagen wechseln sich öde Hochebenen mit Wellblechpisten und grüne Pässe ab. Wir halten unsere Tagesetappen eher kurz, denn wir wollen nicht durch das Land rasen, für das wir so weit gefahren sind. Dieses Land braucht nämlich wirklich Zeit, um wenigstens ein wenig zu begreifen, was es so unspektakulär macht. Und so zelten wir an mehreren idyllischen Plätzen und wandern einige der immer sehr ähnlichen einsamen Berge hinauf.
Am faszinierendsten finde ich die großen frei herumlaufenden Ziegen- und Schafherden, die Pferde-, Kamel- und Yakherden, wie sie so im Sozialverband leben, und wie sportlich und lauffreudig Yaks im Vergleich zu unseren Rindern sind.
Auf den holprigen Straßen macht das Motorradfahren hier aber wenig Spaß. Vor allem, weil Andis Ténéré beim Langsamfahren sehr heiß wird, weil der Deckel des Kühlflüssigkeitsbehälters kaputt ist.
Wir fragen uns: Wieso lassen sich die Leute solche Straßen gefallen? Was in anderen Ländern selbstverständlich ist, ist in der Mongolei unmöglich: nämlich, daß eine vorhandene oder neu gebaute Straße benützt und gepflegt wird.
Möglicherweise hat das mit dem Nomadentum zu tun: Die Menschen leben sehr frei; dementsprechend wählen sie auch ihre Wege: Sobald eine Fahrspur zu mühsam wird, fahren sie schon daneben und machen eine neue Spur. So ist es keine Seltenheit, daß 15 Fahrspuren nebeneinander laufen. Für uns ist es unverständlich, wie sich die Mongolen damit mutwillig das Weideland für ihre Tierherden zerstören.
Bei den neuen Straßenprojekten (man ist dabei, die Fernstraßen zu asphaltieren) verschwindet der Großteil des Geldes ausländischer Investoren in irgendwelchen Taschen und erst aus dem Rest wird dann billigst eine Straße gebaut, die nach spätestens 2 Jahren schon so schlaglochverseucht ist, daß erst recht wieder alle daneben fahren.
Wie wir uns so Tsetserleg und somit dem touristischeren Teil der Mongolei nähern, winken uns die mongolischen Kinder immer öfter freundlich zu – aber nur, weil wir Touristen Ihnen vergorene Stutenmilch oder andere Milchprodukte abkaufen sollen.
Schon 130km westlich von Tsetserleg beginnt die neue Asphaltstraße, die schon fast ohne Unterbrechung bis in die Hauptstadt Ulaan Baatar führt; eigentlich paßt diese Geschwindigkeit gar nicht zu dem Land.
Wir schieben zwei Hotelnächte in Tsetserleg ein. Immerhin gibt es dort ein Kloster und einen Markt mit Obst und Topfenkäse. Beim Herumspazieren fallen uns die neuen 5-6stöckigen Wohnbauten auf: sie sehen schon abbruchreif aus, bevor sie überhaupt fertig sind. Alles daran ist schief. Herr Hundertwasser hätte seine Freude! Hier dürfte es weder Lot noch Augenmaß geben. Außerdem dürften einige Häuser frei anhand von Fotos europäischen Villen nachgebastelt worden sein.
Die Parks in Tsetserleg könnten richtig nett sein, aber wie im Großteil der Mongolei fehlt das Wasser.
Auf dem Weg nach Ulaan Baatar besuchen wir noch die Klosteranlage Erdene Zuul und überqueren die Mongol Eels – ein nur 300m breiter Sanddünenstreifen.
50km vor der Stadt schlagen wir noch einmal unser Zelt auf, um schon vor 7 Uhr Früh nach Ulaan Baatar hinein zu fahren. Es ist die einzige Möglichkeit, einem stundenlangen Stehen im Stau zu entgehen. Dieser Moloch paßt so gar nicht zu dem stillen Land. Im morgendlichen Gegenlicht schockieren uns gleich einmal 3 riesige qualmende Schlote, die wie die von Atomkraftwerken aussehen. Es sind nicht die einzigen grauen Häßlichkeiten, an denen wir vorbei kommen, bevor wir das andere Ende der Stadt erreichen und beim OASIS Guesthouse zu ankommen. Es ist der TravellerTreff in Ulaan Baatar und eine echte Oase in dieser 2 Milionen Stadt, die so extrem schnell wächst, daß man kaum nachkommt, Kanal und Straßen zu den aus dem Boden schießenden Wohnblöcken zu bauen. Gehsteige fehlen noch. Stadtentwicklungsplan oder Verkehrskonzept gibt es nicht.
Noch vor wenigen Jahren war das OASIS nur von Jurten umgeben. Heute sind rundherum Hochhäuser, Bau- und Supermärkte. Leider wird Sibylle es wohl nicht mehr weiterführen; sie war das Herz dieser Oase und hat auch uns viel geholfen. Für uns ist das Oasis der ideale Platz, um in guter Gesellschaft Motorräder zu warten und Erlebnisse auszutauschen. Außerdem haben wir uns neue Reifen von Österreich schicken lassen. Allein diese vom Zoll abzuholen dauert einen ganzen Tag. Wir sind aber froh, daß wir uns nicht darauf verlassen haben, sie am hiesigen Schwarzmarkt zu bekommen. Der hat zwar vieles, aber eben nicht immer alles. Billiger und möglicherweise einfacher wäre es allerdings gewesen, die Reifen von einem Händler in Moskau z.B. nach Ulan Ude zu ordern. Im Nachhinein ist man meistens klüger …
Wir lieben extreme Menschenansammlungen nicht und verlassen Ulaan Baatar noch vor dem Massenansturm des Nadam-Festes.
Noch einmal müssen wir durch die ganze Stadt, und wieder fahren wir ohne Stau zeitig in der Früh. Diesmal geht’s nach Norden. Außerhalb der Stadt wurden entlang der Straße auf einem max. 10m breiten Streifen Bäume angepflanzt. Dies ist wohl das international medienwirksame Wiederaufforstungsprojekt der Mongolei. Bei Bajangol finden wir zum ersten und einzigen Mal eine saftige hohe Wiese mit vielen Blumen. Wir müssen uns eingestehen, daß wir solche Erlebnisse schon sehr vermißt haben auf der bisherigen Reise!
Bei Sukhbaatar verlassen wir die Mongolei ohne Wehmut.
>> Fotos
(Texte direkt im jeweiligen Foto -> dort auf ( i ) klicken!)